Nichts ist unmöglich: schöne, neue E-Shopping-Welt
Posted 30 Nov 2017
Der Point-of-Sale macht es bereits vor: Fühlen, riechen und schmecken gehören längst zur Einkaufserfahrung, denn multisensorische Erlebniswelten führen nachweislich zu einer besseren Kundenbindung. Was ist aber, wenn ich meine Produkte nicht im Einzelhandel kaufe? Muss ich als Konsequenz auf sinnliche – allen voran haptische – Wahrnehmungen verzichten? Keineswegs, sagt die aktuelle Forschung. Entwickler arbeiten bereits daran, den digitalen Einkauf durch „Haptic eCommerce“ zu revolutionieren. War der Online-Handel bisher in Sachen Düfte und Geschmäcker im Hintertreffen, soll er in den kommenden Jahrzehnten mit innovativer Digitaltechnologie aufholen.
Die EuroShop 2017 hat gezeigt, dass die Themen Emotionalisierung und Storytelling aus dem Einzelhandel nicht mehr wegzudenken sind. Die voranschreitende Digitalisierung ermöglicht es, in Geschäften multisensorische Erlebniswelten zu kreieren. Zu den größten Vorteilen des stationären gegenüber dem Online-Handel zählt das Erleben von Waren über das reine Sehen hinaus. Die neuen Weber Original Stores sprechen zum Beispiel die unterschiedlichsten Sinne an, um Konsumenten einen Mehrwert zu bieten. In dem neuen Rundumkonzept sind Geräusche, Geruch und Optik exakt aufeinander abgestimmt, um das individuelle Grillerlebnis mit Holzkohle, Gas oder Elektro zu vermitteln. So ist beim Kohlegrill Holzkohle als Film projiziert, untermalt mit einem dezenten Grillduft und dem Knistern von Kohle. Doch wie lassen sich sensorische Elemente in das Online-Shopping integrieren?
Die Versuche, Geruch oder das haptische Erleben trotz räumlichem Abstand zu übertragen, gibt es bereits länger. Durch die rasante Entwicklung rund um die Robotik, Augmented und Virtual Reality und künstliche Intelligenz hat das Thema jetzt wieder an Fahrt aufgenommen. Die Zahl der Unternehmen und Forscher wächst, die sich mit Haptic eCommerce beschäftigen und nach Lösungen suchen, um auch im Online-Handel alle fünf Sinne anzusprechen.
Bei so gut wie allen Entwicklungen bildet das Smartphone die Basis. David Edwards, Professor an der Eliteuni Harvard, hat mit einigen Studenten ein Gerät samt iPhone-App entwickelt, das Gerüche als Kurznachricht überträgt. Um den Geruch abzusenden, braucht es lediglich die App “oSnap“, während als Empfangsstation das noch etwas unhandliche „oPhone“ erforderlich ist. Über 300.000 verschiedene Gerüche – sogenannte oNotes – erlaubt das „Scent-Based Mobile Messaging“, das mit Geruchskartuschen arbeitet. Bereits 2014 vorgestellt, führte eine Indiegogo-Kampagne leider nicht zum gewünschten Erfolg, eine Massenproduktion des Geräts blieb bislang aus. 2016 stellte der Amerikaner jedoch als neuen Coup die per Smartphone-App gesteuerte Geruchsbox Cyrano vor, die für jede Stimmung das passende Aroma bereithält: In Cyrano sind drei Düsen verbaut. Diese können unterschiedliche Gerüche versprühen und sind aus zwölf Aromen komponiert. Eine weitere interessante Entwicklung ist Scentee, das mit dem Smartphone oder Tablet zum Duftspender wird. Der kleine Aufsatz für den Kopfhörerausgang gibt jedes Mal einen Duftstoß, zum Beispiel Lavendel oder Erdbeere, frei, wenn der Nutzer eine E-Mail oder Facebook-Benachrichtigung bekommt. Auch manuell kann der Nutzer die Duftbombe auslösen – oder zeitgesteuert in frei wählbaren Intervallen. Was auf den ersten Blick wie eine Spielerei scheint, zeigt, was bereits machbar ist und machbar sein wird! Für den Einzelhandel eröffnen sich völlig neue Möglichkeiten – von der klassischen Parfümerie über den Lebensmittelhandel bis hin zur Online-Touristik. Nicht nur Parfüms, auch Gerüche von Wein, Kaffee, Urlaubsorten oder einfach der Geruch des Meeres lassen sich digital übertragen. Konsumenten erhalten so vorab einen Eindruck von einem Produkt oder ihrem Reiseziel.
Aber auch Geschmack kann per Technologie simuliert werden. Bereits seit einigen Jahren arbeitet die Wissenschaft an sogenannten „Electronic Lollipops“, also Elektroden, die durch die Berührung mit der Zunge verschiedene Geschmacksrichtungen erzeugen. Süß, sauer, salzig oder bitter lassen sich so bereits elektronisch vermitteln. Derzeit forscht Adrian David Cheok, Professor für Pervasive Computing an der City University London, Direktor der Mixed Reality Labs in Singapur und Erfinder von Scentee, daran, wie man virtuellem Essen zusätzlich zum Geschmack auch Textur verleihen kann. Damit wäre es möglich, Essen oder Getränke über jede Entfernung hinweg zu probieren.
Aber wie steht es mit der haptischen Wahrnehmung? Die Ware anfassen zu können wie z. B. das Fühlen eines weichen Wollpullovers, ist etwas, dass das Internet bisher nicht leisten kann. Aber auch forscht die Wissenschaft bereits, wie Berührung von Oberflächen per Technik übertragen werden kann. In seinem Mixed Reality Lab hat Professor Cheok einen Ring namens RingU entwickelt, der Berührungen übertragen kann. Drückt jemand seinen Ring, empfindet der verbundene, andere Mensch an seinem Ring genau diesen Druck. Für die Zukunft bedeutet das, dass wir zu Hause den Stoff eines Kleidungsstücks fühlen, es virtuell anprobieren und sogar daran riechen könnten.
Alles reine Zukunftsmusik oder bald Realität? Von welchem Zeitrahmen sprechen wir? Einzelne Stimmen sagen, dass virtuelles Shoppen inklusive haptischem Erleben bereits in den nächsten fünf bis zehn Jahren allgegenwärtig sein wird. Egal, ob dies zutreffen wird oder nicht, eines steht fest: Die Digitaltechnologien werden im eCommerce absehbar weitaus immersiver sein und in unseren Einzug Alltag halten. Die Vermittlung von multisensorischen Daten rückt in den Fokus, damit der Konsument auch virtuell mit allen fünf Sinnen einkaufen kann. Der Online-Handel wird sicherlich alles daransetzen, derartige Technologien breit auszurollen. Ob die Möglichkeiten dann auch wirklich intensiv genutzt werden und boomen, bleibt abzuwarten. Spannend sind diese Entwicklungen allemal!
– Dieser Beitrag wurde erstellt von Helen Mack, Account Director bei HBI