Der Handel auf dem Sprung zur Digitalisierung
Posted 14 Jul 2020
In der Corona-Krise ist kontaktlos das Wort der Stunde – nicht nur bei Postdiensten, auch beim täglichen Einkauf im Supermarkt sind präventive Maßnahmen zum Schutz von Kunden und Personal angesagt. Bargeldloses Bezahlen, digitale Einlasskontrollen, die Kundenströme messen, und Self Check-outs sollen verhindern, dass sich das Virus weiterverbreitet.
In der aktuellen Situation erleben Innovationen für den Handel so einen enormen Aufschwung. Zeitgleich setzt der stationäre Einzelhandel immer mehr auf emotionale Einkaufserlebnisse und verbesserten Service, um gegen die wachsende Konkurrenz des E-Commerce zu punkten.
All diese Entwicklungen machen den Bereich Retail Technology gerade enorm spannend. Denn eines steht fest: Die Digitalisierung im Retail-Bereich geht mit Riesenschritten voran, so dass der Handel vor einer radikalen Neuerfindung steht.
Krisen gelten als größter Auftrieb für Innovation. Aber auch unabhängig von der aktuellen Lage sind viele Einzelhändler gerade auf dem Sprung zur Digitalisierung ihrer Prozesse. Es gilt, die Beziehung zu den eigenen Kunden digital abzubilden und möglichst zu vertiefen.
Von Wearables über Digital Signage Player zur Content-Bespielung von großformatigen POS-Displays bis hin zu mobilen Applikationen – die Beispiele sind vielfältig. Die unter dem Begriff Retail-Technologie vereinten Anwendungen und Lösungen haben eines gemeinsam: Sie sollen helfen, die Beziehung zum Shopper zu vertiefen, sein Einkaufserlebnis zu steigern und ihn damit an die eigene Marke zu binden.
Bei den Vorteilen für den Konsumenten steht dabei der Komfort an oberster Stelle. Dies können die umgehende Lieferung des Produkts, KI-gestützte, persönliche Produktempfehlungen auf Basis der Kundenhistorie, aber auch Augmented- und Virtual Reality-Anwendungen sein, die die Produktentscheidung vereinfachen –sei es bei der Suche nach dem passenden Möbelstück oder der Auswahl des Lippenstifts.
Gerade im Fashion Business ist der technologische Aufbruch groß: Der Multibrand-Store Luisa Via Roma startete z. B. vor kurzem eine E-Gaming-Anwendung. Kunden können einen Avatar mit Luxusmode einkleiden und anschließend selbst im Webshop einkaufen.
In Hamburg-Altona eröffnete C&A Europe kürzlich seinen modernsten Store – mit Tech-Features wie Self Check-out und Individualisierungs-Service in der Denim-Abteilung.
Der Modehändler Orsay veranstaltete wiederum erstmals Online Shopping mithilfe eines Livestreams. Während eine Influencerin live aus dem Laden moderierte, beantworteten Mitarbeiter Fragen parallel in einem Live-Chat.
Bekleidungsläden rüsten auf und vernetzen nicht nur ihre Läden mit dem Internet, sondern auch Spiegel, Etiketten und Kleidung. Die verschiedenen Touchpoints sind per Datenaustausch durch ERP- und Produktinformationsmanagement (PIM)–Systeme miteinander verknüpft.
Das große Ziel: Alle Kunden-, Produkt-, Unternehmens- und Preisdaten sollen auf allen Touchpoints synchron bereitstehen. Der Kunde kann damit im Online-Shop Produkte in den Warenkorb legen, um diese dann später im stationären Handel auf dem POS-System aufzurufen, zu modifizieren und letztlich seinen Kauf abzuschließen.
Ein weiteres Szenario ist, dass der Kunde in den Store kommt und sich sein Handy automatisch mit der ausgestellten Ware über Bluetooth oder Near Field Communication (NFC) auf Basis von RFID verbindet.
Produktinformationen wie die Herstellung, Empfehlungen zu anderen Artikeln oder Verkaufsaktionen werden direkt auf sein Smartphone ausgespielt. Neuigkeiten und Trends wie diese sind für die digitale Transformation im Handel essentiell und ermöglichen eine völlig neue Digital Customer Experience am Point of Sale.
Bonprix, mit dem diesjährigen reta award des EHI Retail Institutes in der Kategorie „Best Customer Experience“ ausgezeichnet, vereint in seiner App „fashion connect“ erfolgreich die Vorzüge der On- und Offline-Welt. Per Smartphone werden die gewünschten Kleidungsstücke gescannt, die Größe gewählt und die Umkleidekabine reserviert, in der die Ware anschließend zur Anprobe bereitliegt. Durch die in der App integrierten Payment-Optionen lässt sich das Ausgesuchte schnell und unkompliziert bezahlen. Die App lässt sich nahtlos in das SAP-System von Bonprix integrieren und arbeitet in Echtzeit mit allen anderen In-Store-Technologien zusammen.
China macht bereits seit 2016 erfolgreich vor, wie der stationäre Handel mit Online zu einem einzigartigen Einkaufserlebnis verschmilzt.
Mit dem Handelskonzept „New Retail“ schöpft man im Reich der Mitte eindrucksvoll alle Möglichkeiten aus, welche die Digitalisierung zur umfassenden und schnellen Erfüllung der Kundenwünsche bietet. Online, Offline, Logistik und Technologie sind in einer einzigen Wertschöpfungskette integriert.
Damit geht einher, dass sich China zu einer sogenannten Cashless Society entwickelt. In aller Regel wird mithilfe des Smartphones und QR-Codes über die gängigen Bezahl-Apps wie WeChat Pay oder AliPay bezahlt – oder über Gesichtserkennung wie zum Beispiel im Alibaba-Supermarkt Hema/Fresh Hippo.
Für Konsumenten ist dies äußerst einfach, schnell und bequem. Aber auch hierzulande sind Mobile Payment und seine verschiedenen Varianten auf dem Vormarsch.
Praktisch, schnell und vor allem hygienisch – kontaktloses Bezahlen setzt sich immer mehr durch und ist in Corona-Zeiten beliebter denn je, so auch die Beobachtung der Bundesbank.
Im Jahr 2018 bezahlten in Deutschland erstmals mehr Menschen mit Karte statt mit Bargeld. Heute ist es bei uns beinahe selbstverständlich, Einkäufe bargeldlos zu erledigen, und auch die Nutzung des Smartphones an der Kasse wird zum Alltag.
H&M bietet neuerdings in stationären Stores den Smartphone-gestützten Kauf auf Rechnung an. Möglich macht dies die Loyalty-App des Mode-Konzerns. Decathlon geht einen Schritt weiter: Der neue Self Check-out-Service ermöglicht in ausgewählten Filialen den komplett kontaktlosen Einkauf –ohne Kasse, Terminal oder Personal.
Gescannt und bezahlt wird per Smartphone, dabei wird die RFID-Warensicherung automatisch deaktiviert. Voraussetzung für die Nutzung des neuen Bezahlservices, genannt Scan & Go, ist ähnlich wie bei H&M die Mitgliedschaft im MyDecathlon-Programm – Kundenbindung par excellence!
Künstliche Intelligenz (KI) als Schlüssel zur Personalisierung gilt als der wichtigste Trend für die Zukunft des Handels. Die Technologie sorgt dafür, dass Händler Daten besser verstehen und Kunden passgenaue Angebote liefern können.
Im E-Commerce, in dem die maximale Personalisierung als neue Plattformstrategie zu beobachten ist, hat einer Umfrage des E-Commerce-Softwareanbieters Divante und dem Marktforschungsinstitut Kantar zufolge KI in den nächsten fünf Jahren den größten Einfluss auf die Zukunft des Online-Handels.
Aber auch in der Einzelhandelslandschaft erfährt KI einen Schub: Aufgrund ihrer Online-Erfahrung erwarten Kunden, und hier insbesondere jüngere Käufer, ähnlich wie beim Online-Shopping ein auf sie individuell zugeschnittenes Angebot.
Andere Anwendungen zeigen ebenfalls, dass KI Motor für höhere Kundenzufriedenheit ist: Mithilfe eines Algorithmus hat MediaMarktSaturn die Verkaufshistorie und auf deren Basis die Nachfragemuster und Verkaufskorrelationen der Verbraucher für jede Filiale analysiert.
Mit diesem Wissen wurden die Produktbestände in den Geschäften optimiert und die Warenpräsentation verbessert. Eine App informiert die Filialleiter über Ladenhüter und hält Lösungsvorschläge parat. Diese Effizienzsteigerung durch die Implementierung neuer Technologien wurde mit dem reta award 2020 belohnt.
Durch Covid-19 wird nicht nur die Digitalisierung auf Hersteller- und Händlerseite an Schubkraft gewinnen, sondern sich auch die Akzeptanz neuer Technologien beim Shopper erhöhen.
Die Coronakrise wird das Konsumverhalten nachhaltig verändern, heißt es allerorten. Eines der zentralen Ergebnisse des aktuellen Consumer Sentiment Pulse Check, einer repräsentativen Befragung der Unternehmensberatung McKinsey unter mehr als 1.000 Konsumenten in Deutschland, zeigt, dass Konsumenten an ihren neu erworbenen Verhaltensmustern festhalten. 41 Prozent der Befragten gaben so an, auch nach der Krise abgesehen vom Lebensmitteleinkauf weniger shoppen zu gehen.
Einer Umfrage der Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG) zufolge wollen Verbraucher zudem Lebensmittel weiterhin online einkaufen. Auch bei anderen Produkten steht E-Commerce nach wie vor hoch im Kurs.
Neu gewonnene Gewohnheiten und Verhaltensmuster werden sich langfristig über die Krise hinaus durchsetzen und in den Alltag schleifen, was für eine wachsende, breite Akzeptanz neuer technologischer Innovationen bei Konsumenten spricht.
Im Gegensatz zu anderen Wirtschaftszweigen könnte die Digitalwirtschaft sogar gestärkt aus der Krise hervorgehen, da diese die digitale Transformation beschleunigt. Damit rechnen zumindest 800 Entscheider aus der Digitalbranche, die an einer Trendumfrage der Dmexco teilgenommen haben.
Helen Mack
Account Director bei HBI Helga Bailey GmbH – International PR & MarCom
Nach einem kurzen Ausflug ins Marketing betreut Helen Mack seit mehr als 15 Jahren HBI-Kunden aus dem B2B-Bereich. Ihr Schwerpunkt liegt aktuell auf den spannenden Themen Nachhaltigkeit, Retail Technology und Logistik. Zu ihrem derzeitigen Aufgabenbereich gehören neben Consulting die Textkreation und Event-Organisation. Immer im Fokus: wie steigere ich die Marktpräsenz und den Erfolg der HBI-Kunden.